Zahlenfeindlichkeit rächt sich

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ANALYSE. Gerade wenn man Corona-Maßnahmen und -Entwicklungen verstehen möchte, stößt man ganz besonders in Österreich allzu schnell an Grenze. Letztlich schadet das auch Regierenden.

20 Monate nach Beginn der Pandemie wird zum Beispiel auf der Seite „Our World in Data“ selbstverständlich weiterhin ausgewiesen, wie viele Menschen in zahlreichen Industriestaaten mit Corona ins Spital gebracht werden müssen. Ein Land, das sich sonst gerne zu diesem Kreis zählt, weil es nicht „in seinen Systemen kaputt“ sein möchte, ist jedoch nicht dabei: Österreich. Hier sind noch immer keine Daten dazu verfügbar. Und das ist bezeichnend. Es steht für eine ausgeprägte Transparenz- und Zahlenfeindlichkeit, die gerade in der Pandemie verhängnisvoll ist. Auch für Regierende, die sich das selbst eingehandelt haben.

Natürlich: Man kann den Ernst der Lage etwa durch Aussagen von Richard Greil, dem Vorstand der Uniklinik Salzburg, ermessen. Oder die Berichte und Einschätzungen vieler weiterer Expertinnen und Experten. Oder durch die persönliche Erfahrung, dass immer mehr Menschen im Umfeld erkranken oder in Quarantäne müssen.

Andererseits aber lässt das Fehlen von Daten unnötige Phantasien zu. Als Laie könnte man durchaus meinen, dass schier unendlich viele Intensivpatienten behandelt werden könnten. Im vergangenen Herbst etwa sind die Kapazitäten ausgeweitet worden. Was man als Außenstehender umgekehrt auch nur ahnen kann, ist, dass es nicht nur auf die Betten, sondern auch auf das verfügbare Personal ankommt. Sprich: Zahlen dazu könnten eindrucksvoll zeigen, wie viel geht – und wo Grenzen erreicht sind. Allein: Angaben dazu sind keinem Dashboard zu entnehmen, das haben Bund und Länder (= Spitalserhalter) bis heute nicht zusammengebracht.

Zumindest ebenso verhängnisvoll wie die fehlende Transparenz (Steuerzahler hätten, nebenbei bemerkt, immer Anspruch darauf, zu wissen, wie, wofür und für wen genau ihr Geld eingesetzt wird), ist eine ausgeprägte Zahlen- oder überhaupt Mathematikfeindlichkeit. Sie hat eine gewisse Sorglosigkeit befeuert und gleichzeitig Impfskeptiker bestärkt.

Konkretes Beispiel: Die Darstellung, wonach die Pandemie für Geimpfte vorbei sei und sich alle Ungeimpften anstecken würden, die Altkanzler Sebastian Kurz getätigt hat. Allein schon, dass nie von einem 100-prozentigen Impfschutz die Rede war, macht diese Darstellung verwerflich, hätte andererseits aber auch eine breitere Öffentlichkeit stutzig machen können. Hersteller wie Behörden haben immer nur von einer sehr großen Schutzwirkung gesprochen. Vor allem die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken, wird stark reduziert. Das bedeutet, dass man, wenn man Pech hat, trotzdem im Spital landen kann. Das ist sehr banal, möglicherweise aber viel zu wenig bewusst: Nehmen wir 100.000 Infizierte, von denen 65 Prozent geimpft und 35 Prozent ungeimpft sind: Wenn die Wahrscheinlichkeit, schwerer zu erkranken, bei Geimpften 50 Mal kleiner wäre und, sagen wir, 0,1 Prozent beträgt, kommen schon 650 Geimpfte zusammen, denen dieses Schicksal zu teil wird. Das sind auch sehr viele.

Das Beispiel beruht, von der Impfrate abgesehen, auf fiktiven Annahmen und soll verdeutlichen, wie wichtig es wäre, von Wahrscheinlichkeiten und nicht von falschen Sicherheiten zu reden. Es würde letztlich auch die Glaubwürdigkeit der Politik stärken.

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