Jugend egal

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ANALYSE. Opfer werden bei Öffnungsplänen unausgesprochen in Kauf genommen. Gerade Vorarlberg könnte diesbezüglich eine Warnung sein.

„Das Licht am Ende des Tunnels ist nahe“, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Ende vergangener Woche: Dank des „Impfturbos“ werde man zur Normalität zurückkehren, mit 19. Mai werde man „ganz vorsichtige Öffnungsschritte“ vornehmen. Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ist eigenen Angaben zufolge erfreut. Die Jugend spielt bei alledem offenbar keine Rolle, es gibt weder einen „Pakt“ für sie, noch werden übrige Teile der Gesellschaft aufgefordert, Rücksicht auf sie zu nehmen. Dabei wäre dies ähnlich notwendig wie zu Beginn der Pandemie in Bezug auf die Älteren.

In Österreich wird schon allerhand als Turbo bezeichnet. Noch ist relativ wenig davon zu spüren und Ankündigungen sind erfahrungsgemäß mit größter Vorsicht zu genießen. Fakt ist, dass noch immer erst ein Bruchteil der Bevölkerung auch nur eine Erstimpfung erhalten hat.

Ausschließlich bei den ab 75-Jährigen ist Österreich – Stand 26. April – dem Ziel nahe, dass rund 70 Prozent geimpft bzw. nur 30 Prozent nicht geimpft sind. Das könnte in etwa die Marke sein, bei der eine Herdenimmunität gewährleistet ist. Allerdings wird es auch in dieser Altersgruppe noch etwas dauern: Viele haben noch keine Zweitimpfung – und wenn sie eine solche haben, wird es noch immer ein paar Wochen dauern, bis die volle Schutzwirkung eintritt.

Immerhin: Bei den Ältesten sind schon so viele geimpft, dass die Pandemie für sie in den vergangenen Wochen weniger bedrohlich geworden ist. Bei ihnen gibt es weniger schwere Erkrankungsverläufe und auch Todesfälle.

Umgekehrt jedoch verlagert sich das Infektionsgeschehen zunehmend auf Jüngere. Der Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer berichtet von auffallend vielen Fällen, die Kleinkinder betreffen. In den Intensivstationen landen immer mehr Jüngere. In Vorarlberg zieht man gerade eine Notbremse – in Teilen wird an Oberstufen wieder nur „Homeschooling“ gemacht.

Das könnte Kurz und Co. zu denken geben: Vorarlberg hat schon relativ viele Menschen geimpft. Gemessen an den ab 16-Jährigen beträgt der Anteil fast ein Drittel (31,8 Prozent), während er österreichweit noch einem Viertel (26,9 Prozent) näher ist. Ja: In ganz Österreich wird der Anteil eher erst Anfang Mai auf Ländle-Niveau liegen, wenn es dann schon bald an noch größere Öffnungen als zuletzt in Vorarlberg gehen soll.

Um nicht missverstanden zu werden: Corona-Bekämpfung muss immer auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange berücksichtigen. Gerade deshalb ist diese Rücksichtslosigkeit gegenüber den Jungen jedoch so problematisch: „Den Jungen gehört die Zukunft!“, sollte nicht nur in Sonntagsreden vorkommen, sondern generell: Wenn schon – wie eben in Vorarlberg – wieder Schulunterricht eingeschränkt werden muss, hat das wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen. Zu ersteren hat der nunmehrige Arbeitsminister Martin Kocher hier noch als Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) eine Untersuchung unter dem Titel „Kosten von Schulschließungen zur Pandemiebekämpfung“ vorgelegt. Zu weiteren Folgen gibt es unter anderem Berichte zu psychischen Schäden gerade auch bei Schülerinnen und Schülern, die erschreckend sind. Die Uni Krems hat hier etwa schon im Jänner festgestellt, dass die Hälfte der jungen Erwachsenen unter depressiven Symptomen leide. Anzunehmen, dass das es von Woche zu Woche mehr werden.

Parallel zu Öffnungen könnte man zumindest auch über eine Änderung der Impfreihenfolge diskutieren: Jüngere pflegen mehr Kontakte. Von daher ist es besonders riskant, Kontaktmöglichkeiten auszuweiten, eher dadurch Gefährdete aber nicht vordringlich zu schützen. Bei 16- bis 24-Jährigen haben 96 Prozent der Frauen und 98 Prozent der Männer noch gar keine Coronaimpfung erhalten, bei 25- bis 34-Jährigen sind es 86 bzw. 90 Prozent und bei etwas weniger Jungen auch nicht viel weniger. Da kann von einem Licht am Ende des Tunnels noch gar keine Rede sein, da ist eine Normalität noch fern.

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