Journalismus unerwünscht

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ANALYSE. Der ÖVP-Vorstoß, Zitate aus Ermittlungsakten zu verbieten, passt zur Linie, sich Berichterstattung selbst zu organisieren oder zu richten.

Der Blog „Zur Sache“ wartete gleich einmal zu seinem Start mit einer Meldung auf, die er als „Exklusiv“ bezeichnete: „Gastro-Öffnung mit Test ist fix!“ Laut einem „Regierungsinsider“ werde an einer eigenen Taststrategie getüftelt. Offen sei nur noch, wann Lokale wieder aufsperren dürfen. „Zur Sache“ muss es wissen – Medieninhaber ist der Parlamentsklub der türkisen Volkspartei, als Chefredakteur konnte mit Claus Reitan kein ganz unbekannter Journalist gewonnen werden; der 66-Jährige hat schon „Österreich“, die „Tiroler Tageszeitung“ und „Die Furche“ geführt.

Parteien nehmen die Berichterstattung wieder selbst in die Hand. Ihre Zeitungen sind bis auf wenige Ausnahmen, wie das Linzer Volksblatt (ÖVP), verschwunden. Vorreiter beim medialen Comeback war zuletzt die FPÖ – mit Heinz-Christian Strache über „Facebook“ und einem eigenen TV-Kanal. Die Website „unzensuriert.at“ leistete Schützenhilfe. Der Parlamentsklub der SPÖ folgte wiederum mit dem Blog „Kontrast.at“ und die ÖVP nun eben mit „Zur Sache“. Wobei es verfehlt wäre, daraus zu schließen, dass sie Nachzüglerin wäre. Unter Sebastian Kurz hat sie – auf sozialen Medien – längst eigene Kanäle entwickelt und darüber hinaus auch größere Einflussmöglichkeiten.

Bei alledem gibt es aus demokratiepolitischer Sicht ein erhebliches Problem: Die medialen Aktivitäten der Parteien, die mehr oder weniger journalistisch und natürlich überhaupt nicht distanziert gegenüber allen Parteien sind, werden über staatliche Förderungen, also mit Steuergeld finanziert. Sie müssen sich auf keinem Markt behaupten. Von daher haben sie einen Wettbewerbsvorteil, der für freie, unabhängige Medien umgekehrt ein gewisser Nachteil ist – jedenfalls in Verbindung mit allem anderen, was weiter unten in diesem Text noch folgen wird.

These: Bestimmende Teile der österreichischen Politik tun alles, um es gutem, kritischem Journalismus, der zu Information und Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger essentiell wäre, schwer bis unmöglich zu machen. Das hat es immer wieder gegeben. Vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) stammt die „strukturelle Korruption“ (Zitat: Matthias Strolz) in Form von „Regierungsinseraten“. Unter Türkis-Grün wird sie nun dramatisch ausgebaut.

Die Vorgeschichte: 1976 wurden die Parteien- und die Presseförderung eingeführt, die eine betrug umgerechnet 4,6, die andere 6,2 Millionen Euro (Quelle: profil.at). Damit ist zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht nur starke Parteien, sondern umso mehr auch starke Medien notwendig sind. 2019 belief sich die Parteienförderung (ohne Zahlungen für den damaligen EU-Wahlkampf) auf 30 und die Presseförderung auf 8,9 Millionen Euro. Dieses Missverhältnis steht für einen politischen Willen für starke Parteien und möglichst schwache Medien.

Im vergangenen Jahr gab es für die Zeitungen eine Sonderförderung, damit sie aufgrund der Pandemie nicht in gar zu große Nöte geraten. Für Tages- und Wochenzeitungen wurden etwa 9,7 Millionen Euro ausgeschüttet. Diese Sonderförderung ist erstens aber eine Ausnahme und steht zweitens in keinem Verhältnis zur wirklichen Presseförderung, die Faymann gewissermaßen erfunden hat: zu dem nämlich, was über Inserate vergeben wird.

2018 hat allein die türkis-blaue Regierung um rund 24,5 Millionen Euro inseriert. Unter der türkis-grünen Führung von Sebastian Kurz und Werner Kogler könnte sich diese Summe nun gut und gerne verdoppeln: Bis zu 210 Millionen Euro sollen über vier Jahre für Regierungskampagnen ausgegeben werden; das wären bis zu 52,5 Millionen Euro pro Jahr. Das ist ein Vielfaches davon, was über klassische Förderungen nach wirklich objektiv nachvollziehbaren und verbindlichen Kriterien fließt. Vor allem aber handelt es sich um eine Größenordnung, die eine weitere Kampfansage an Journalismus darstellt: Medien sind davon abhängig. Kaum eines wird es sich leisten können, seinen Teil zu riskieren. Insofern kann man sich auch wundern darüber, dass aus der Branche kein Aufschrei zu vernehmen ist; wenn schon, dann wäre er es wohl im Sinne aller (mit Ausnahme der Regierenden), dass stattdessen die Förderungen zumindest auf das Niveau gebracht werden, das Parteien zugestanden wird.

Hier entsteht der Eindruck, dass Medien an die Kandare genommen werden bzw. sich an die Kandare nehmen lassen. Verfestigt wird er durch Alltägliches: Die ÖVP tut nichts für Transparenz, die auch Journalistinnen und Journalisten und damit der Öffentlichkeit nützen würde; sie will vielmehr verbieten, dass aus Ermittlungsakten zitiert werden darf. Wobei sie sich nicht einmal geniert, das zeitgleich mit der Causa Blümel und diversen Angriffen auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu tun. Zusätzlich zu dieser ist nun eben die Pressefreiheit an der Reihe.

Es geht aber auch niederschwelliger: In der Pandemie ist auch die persönliche Auseinandersetzung – in Form von Gesprächen und Interviews – zwischen PolitikerInnen und JournalstInnen naturgemäß nur eingeschränkt möglich. Das ist ein Problem. Verschärft wird es durch die Unsitte, dass die Politik zunehmend dazu übergeht, Botschaften über schriftliche Mitteilungen abzusetzen. Das erspart lästige Fragen, ermöglicht „Message Control“.

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