Krise der Bürgerlichen

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ANALYSE. Die deutsche Union steuert auf ein Debakel zu. Die ÖVP ist einem solchen entgangen, hat aber einen hohen Preis dafür bezahlt.

So werde die deutsche Union die Bundestagswahl am 26. September verlieren, hat die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bereits geschrieben. Im bürgerlichen Lager macht sich Panik breit: Vor dem Sommer hatte sich ein schwarz-grünes Duell um Platz eins und damit wohl auch die Nachfolge von Angela Merkel im Kanzleramt abgezeichnet. Dann sind die Grünen, zuletzt die Schwarzen weggebrochen. In beiden Fällen lag es auch an der bzw. an dem Spitzenkandidaten, also an Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU). In einem Monat könnte es daher unmittelbar nach dem Urnengang einen lachenden Dritten geben: Ausgerechnet der farblose Olaf Scholz liefert sich mit seiner SPD seit wenigen Tagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Laschets CDU/CSU. Was heißt „Kopf-an-Kopf“? Mehr und mehr liegen die Roten schon vorne. Das Meinungsforschungsinstitut Insa wies der Scholz-Partei am Wochenende 24 und der Union nur 21 Prozent aus – laut „Handelsblatt“ ist das der niedrigste, jemals für sie festgestellte Wert.

Laschet ist nur Teil des Problems, das die Union hat: Naheliegend ist, dass das Pendel, das es in der Politik geben soll, nach so vielen Merkel-Jahren ganz einfach in eine andere Richtung ausschlagen möchte; dass es bei aller Wertschätzung für die Frau in weiten Teilen der Bevölkerung eine Sehnsucht nach etwas ganz anderem gibt. Jedenfalls aber sind die Koordinaten nach Wirtschafts- und Finanz-, Flüchtlings- und Corona-Krise durcheinander. Seit der Pandemie sind plötzlich (fast) alle für einen Staat, der gar nicht stark genug sein kann. Koste es, was es wolle. Sozialdemokraten dürfen sich bestätigt fühlen. Bürgerliche, die einst „mehr Privat“ wollten, haben Pause.

Fast 16 Jahre Merkel haben zudem der Partei zugesetzt, gerade weil sie mit so starker, unspektakulär-ruhiger Hand geführt hat: Damit ist auch eine extrem lange Zeit einhergegangen, in der wenig Neues aufkommen konnte; inhaltlich wie personell.

Einer der Gründe dafür, dass Laschet Spitzenkandidat wurde, ist laut einem Buch des „Welt“-Journalisten Robin Alexander, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der CDU gegen den hartnäckigen Mitbewerber, CSU-Chef Markus Söder mobilisiert hat. Und zwar mit dem Argument, dass dieser die Schwesterpartei unter seine Kontrolle bringen würde, wie es Sebastian Kurz in Österreich mit der ÖVP gemacht habe: „Dann ist unsere CDU tot.“

Das ist ein bemerkenswerter Übergang: Söder-Anhänger könnten Schäuble nun erwidern, dass es ihm offenbar lieber war, einen Kanzleramtsverlust zu riskieren, als erfolgreich zu sein. Kurz zeige immerhin, wie man noch Wahlen gewinnen kann. Andererseits ist auch der Preis dafür nicht ohne; im Gegenteil: Bürgerliche, christdemokratische Werte wie Leistung und Solidarität werden mit Populismus vermischt oder durch ebensolchen verdrängt. Innerparteilich gibt es zwar keine Grabenkämpfe mehr, an ihre Stelle sind aber auch keine inhaltlichen Auseinandersetzungen getreten, sondern Gehorsam und „Message Control“.

Antrieb der ÖVP ist weniger denn je die Durchsetzung bestimmter Vorstellungen, die aus ihr kommen, sondern Machterhalt der „Familie“ und Dezimierung der Sozialdemokratie (die ihr das im Übrigen sehr einfach macht).

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