Deutschland hat den FPÖ-Moment

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ANALYSE. Bei den Nachbarn ist die AfD dabei, so stark zu werden, dass sie bestimmend ist. In Österreich ist das den Freiheitlichen längst gelungen – und das setzt auch ihren größten Gegnern zu.

Die AfD, die „Alternative für Deutschland“ hat laut einer aktuellen Umfrage mit 20,5 Prozent jetzt auch die SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz überholt und nur noch CDU/CSU (26,5 Prozent) vor sich. Sie hat einen Lauf. Am vergangenen Wochenende hat sie erstmals ein Spitzenamt auf kommunaler Ebene erobert, nämlich das des Landrates von Sonneberg im Bundesland Thüringen. Alles in allem meint der Politikwissenschaftler Hans Vorländer, dass es nun immer schwieriger werde, gegen die AfD Politik zu machen oder gegen sie Wahlen zu gewinnen. Zu groß ist sie, zu viel Zuspruch genießt sie – aus der Sicht von mehr und mehr Mitbewerbern.

Trotz oder gerade wegen ihrer extremen Positionen, die vergleichbar sind mit jenen der FPÖ: „Europa darf kein zentralistischer Bundesstaat werden“, nationale Grenzen müssten geschützt werden und so weiter und so fort. Im Unterschied zur FPÖ fordert sie zwar eine Volksabstimmung über einen Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung Euro, geht andererseits aber nicht so weit, eine nationale Festung errichten zu wollen. Beides entspricht einem Abschied von Europa.

Die Entwicklung, die die AfD jetzt hinlegt, hat die FPÖ hinter sich. Es handelt sich um einen entscheidenden Moment: Wie Vorländer andeutet, wird man de facto zu einer Zentrumspartei. Nämlich insofern, als man Themen und vor allem Erzählungen dazu bestimmt. Als man nicht mehr ignoriert wird und allenfalls nur noch als Koalitionspartner ausgeschlossen wird. Doch damit kann man leben.

In Österreich hat es die FPÖ geschafft, den Zugang zu Asyl und Migration genauso zu prägen wie jenen zur europäischen Integration. Und zwar so stark, dass Sebastian Kurz sie für die neue Volkspartei 2017 und 2019 kopierte. Und dass die ÖVP mit Karl Nehammer noch immer nicht davon lassen kann, weil sie sich außer Stande sieht, eine andere Politik aufzusetzen. Aus Angst nämlich, damit nur noch mehr Wähler zu verlieren und keine zu gewinnen.

Indirekt hat die FPÖ aber auch Einfluss auf den Kurs der SPÖ: Wenn, dann hat sie mit Andreas Babler am ehesten eine Chance, sich bei einer Nationalratswahl durchzusetzen, wenn soziale Themen im Vordergrund stehen. Wenn über eine Arbeitszeitverkürzung und eine Vermögensbesteuerung diskutiert wird. Wenn Bablers Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft im Mittepunkt stehen.

Das zu erreichen, ist jedoch nicht einfach für die SPÖ: FPÖ und ÖVP werden sich zieren, mitzuspielen. Die FPÖ mobilisiert nicht umsonst für eine „Festung Österreich“. Sie geht davon aus, mit derlei an die 30 Prozent erreichen zu können – und die ÖVP ist insofern als Verstärkerin für sie tätig, als sie glaubt, sich in Migrationsfragen ebenfalls profilieren zu müssen. These: Eine nüchterne, sachliche Auseinandersetzung mit diesem Thema ist aussichtslos, sofern man in absehbarer Zeit eine relative Mehrheit erreichen möchte.

Ähnlich verhält es sich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Der FPÖ-Erzählung, wonach man sich als Neutraler am besten ganz raushält aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, ist schwer zu begegnen, wenn man sich bei einer Parlamentswahl behaupten will. Zu lange schon betreibt Österreich keine aktive Außen- und Sicherheitspolitik und fördert stattdessen ein „Insel der Seligen“-Selbstverständnis.

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